Realitätsverlust Symptome (© agsandrew / stock.adobe.com)

Realitätsverlust als Symptom psychischer Erkrankungen

Schon Siegmund Freud stellte fest, dass Realitätsverlust ein Symptom bei Persönlichkeitsstörungen wie der Neurose oder bei psychischen Erkrankungen wie der Psychose sein kann.

Per Definition ist ein Realitätsverlust als zeitweiser oder dauerhafter Verlust des Realitätssinns zu verstehen. Dieser Verlust kann kollektiv, aber auch individuell auftreten. Ein individueller Realitätsverlust kann beim Betroffenen einen Panikanfall oder eine psychische Krankheit auslösen. Er kann ein vorübergehendes Symptom oder ein dauerhafter Zustand sein. Der kollektive Realitätsverlust hingegen definiert oft eine neue Normalität.

Zu unterscheiden sind Realitätsverluste, die nur bestimmte Lebensbereiche oder Dimensionen betreffen – beispielsweise ein Verlust des Zeitgefühls – vom allgemeinen Realitätsverlust. Bei einer Psychose kann beispielsweise übermächtige Angst die Wahrnehmung der Realität nachhaltig verändern. Diese Veränderung der Wahrnehmung ist krankhaft. Wie Menschen mit einer Depression auch, sollte der Betroffene sich einer Therapie (Psychotherapie) unterziehen. Er kann sich selbst einweisen lassen, wenn die Angst durchzudrehen übermächtig wird. Oftmals wird damit ein Suizid verhindert.

Ursachen von Realitätsverlusten

Ein Realitätsverlust kann als Begleiterscheinung psychischer Erkrankungen auftreten. Das betrifft Persönlichkeitsstörungen (Zwangsneurosen, Narzissmus), Psychosen oder Schizophrenie. Es kann aber auch als mögliche Folge von

  • Traumata
  • sexuellem Missbrauch oder Vergewaltigungen
  • Schockzuständen
  • Alkoholismus und Drogenmissbrauch
  • jahrelanger Gefangenschaft in völliger Dunkelheit
  • manchen Stoffwechselstörungen
  • schwerem Flüssigkeitsmangel (Dehydration)
  • extremem Stress und Überarbeitung
  • extremer Hitze oder Kälte
  • einer Demenzerkrankung
  • einer Enzephalopathie
  • neurologischen Erkrankungen wie dem Schlaganfall
  • oder einem pathologischen Gewichtsverlust (Kachexie) durch Verhungern

auftreten. Bei vielen der genannten Fälle ist der Realitätsverlust vorübergehend. Er wird als Symptom betrachtet und kann durch eine Therapie erfolgreich behandelt werden.

In der medizinischen Definition wird dieser Zustand als eine gedankliche und wahrnehmungsbezogene Parallelwelt betrachtet. Die Betroffenen sind mit den Gedanken und Wahrnehmungen in einer ganz anderen Realität unterwegs. Sie leiden beispielsweise unter Verfolgungswahn durch unsichtbare Mächte.

Alte Menschen sehen bei bestimmten Demenz-Formen bedrohlich wirkende Wesen aus der Wand kommen. Es handelt sich beim Verlust des Realitätssinns also um einen geistigen Zustand. Dieser kann durch Botenstoff-Defizite im Gehirn, den demenzbedingten Gehirn-Zerfall oder durch das Einwirken von Parasiten, Keimen, Viren oder Toxinen ausgelöst werden.

Wenn jemandem im Falle einer erhitzten politischen Diskussion der Verlust des Realitätssinns vorgeworfen wird, unterstellt man ihm meist, dass er vom Thema keine Ahnung hat und uneinsichtig ist. Einen Krankheitswert muss das nicht haben.



Was sind die Symptome eines Realitätsverlustes?

Vermutlich hat jedes Individuum gelegentlich mit einem Mangel an Realitätssinn zu tun. Manche Realitäten möchten die Betroffenen einfach nicht sehen. Man blendet sie einfach aus. Eine Frau mit Adipositas durch unstillbare Fress-Sucht kann zum Beispiel ständig betonen, sie habe schwere Knochen. Im Spiegel sieht sie sich als schlanker, als sie in Wahrheit ist.

Auch die Realität einer schweren Erkrankung kann verdrängt werden. Die Betroffenen weigern sich innerlich, sich damit auseinanderzusetzen. Sie tun so, als sei nichts passiert. Damit leugnen sie ihre Sterblichkeit. Sie klammern sich an Sichtweisen, die allen Realitäten entgegenstehen. In manchen Fällen stellt sich ein Betroffener trotz schlimmer Angst vor dem Krebs seiner Krebserkrankung, aber seine Ehefrau tut es nicht. Da sie diese Realität nicht akzeptieren will, spricht sie immer wieder von Heilung und macht Pläne.

In anderen Zusammenhängen wird das Scheitern einer Partnerschaft geleugnet. Manche Menschen akzeptieren kein Nein. Sie versuchen ständig, es zu umgehen. Manche werden deswegen zum Stalker, andere zum Mörder. Manche Menschen stellen sich der Realität ihrer desaströsen Finanzprobleme nicht. Sie verfolgen weiterhin ihr gewohntes Konsumverhalten, obwohl ihnen das Wasser bis zum Hals steht. Krankheitsbedingte Realitätsverluste haben oft eine wahnhafte Komponente. Harmlose Menschen, die nur ihren Job machen, werden als Feinde angesehen. Wesen, die gar nicht existieren, verfolgen solche Menschen und wollen ihnen Böses. Hinter jeder Türe lauert der Verdacht, sie könne fremde Mächte verbergen.

Die Realitätsverlust Symptome sind sich ähnlich, aber die Ursachen für den Verlust des Realitätssinns sind unterschiedlich. Interessant ist, dass der eigene Realitätsverlust oft den anderen zugeschoben wird. Die eigene verzerrte Wahrnehmung wird als Wahrheit angenommen, die Sicht der anderen als krank. Das verzerrte Weltbild wird mit abstrus klingenden Erklärungen untermauert.



Der kollektive Verlust des Realitätssinns

Was den kollektiven Realitätsverlust angeht, unterstellen wir oft unseren Politikern, keine Ahnung von der Realität der Menschen zu haben, über die sie bestimmen. Politiker werden als willige Marionetten der gewinnorientierten Wirtschaft wahrgenommen. Sie entscheiden über Gesetze und begründen diese mit statistischen Werten, ohne die Lebensrealitäten der Betroffenen wahrzunehmen.

Manche Subkulturen haben eine eigenständige Realitätswahrnehmung. Aktuelle Beispiele: die Pegida-Mitläufer, die Neonazis oder die Punker. Die chinesische Propaganda, Hitlers oder Erdogans politische Machenschaften führen dazu führen, dass ganzen Nationen eine bestimmte Realitäts-Wahrnehmung aufgezwungen wird. Kritiker mit anderen Sichtweisen werden mundtot gemacht. Die Corona-Krise hat das am Beispiel des Arztes Li Wenliang in China gezeigt. In China werden alle, die unbequeme Wahrheiten aussprechen, mundtot gemacht oder jahrelang weggesperrt.

Soziologen sprechen in neuerer Zeit nicht umsonst von einer „neurotischen Gesellschaft“. In dieser werden neurotische Gefühle und Verhaltensweisen als Normalität wahrgenommen. Die derzeit beobachtbare Massierung der Neurosen in der Bevölkerung spiegelt aber nicht nur den Einfluss persönlichkeitsgestörter Nachkriegseltern, sondern auch widersprüchliche Einflüsse des Staates wider. Ein narzisstischer US-Präsident spiegelt in Teilen eine akzeptierte Normalität wider. Die Symptome der narzisstischen Persönlichkeitsstörung werden nicht mehr als krankheitsbedingt wahrgenommen. Stattdessen gelten sie mittlerweile als gesellschaftsfähig. Auch die Depression ist heute eher die Regel als eine Ausnahme.


Narzissmus / narzisstische Persönlichkeitsstörung


Besonders gefährlich ist die derzeitig zu beobachtende Desinformation durch Fake News, Desinfiormationskampagnen und Verschwörungstheorien. Daran beteiligen sich mittlerweile nicht mehr nur Autonome, sondern auch Staatenlenker und ihre „Trolle“. Putin ist daran ebenso beteiligt wie die Chinesen oder nicht genannte Interessengruppen. Sie alle möchten ganz gezielt unsere Realität beeinflussen und unsere Wahrnehmung ihren eigenen Interessen gemäß manipulieren. Je massiver diese Eingriffe erfolgen, desto eher führt Desinformation zum kollektiven Verlust der Realitätswahrnehmung.

Realitätsverlust im Rahmen psychischer Krankheit

Menschen, die sich selbst einweisen lassen, haben oft wegen Schizophrenie, psychotischer Schübe, Angststörungen oder einer Depression Angst durchzudrehen. Ihre gewohnte Realitätssicht wurde wegen ihrer Krankheit durch eine andere ersetzt.

Ein sprunghafter Persönlichkeitsstil kann zwar auf eine psychische Labilität hinweisen. Doch wenn jemand sprunghaft oder ständig aggressiv und gereizt ist, muss er noch lange nicht an einer psychischen Erkrankung leiden. Auch ein einzelner Panikanfall muss keinen Krankheitswert haben. Jeder gesunde Mensch kann aus eigener Kraft die Angst vor Kontrollverlust überwinden. Er kann mit anderen über die Panikattacke sprechen. Er kann sein zentrales Nervensystem stärken und resilienter werden.

Fällt jemand aber von einer Panikattacke in die nächste und seine Wahrnehmung der Realität zerfällt, dann muss eine psychische Erkrankung angenommen werden. Die Häufung der Symptome weist den Weg, ob es einer Behandlung bedarf oder nicht. Seit Siegmund Freud befassen sich Psychologen und Psychiater (vgl. Psychiater vs. Psychologe) mit der Symptomatik von begleitenden Realitätsverlusten bei bestimmten psychischen Erkrankungen. Ein klassischer Fall für solche Erkrankungen ist die Psychose, ein andere die Schizophrenie. Beide gehören wegen der Schwere der Erkrankung in fachärztliche Behandlung.

Die Neurose hingegen kommt als Persönlichkeitsstörung heute so gehäuft vor, dass sie fast schon als normaler Zustand angesehen wird. Einen Krankheitswert erhält eine Neurose nur, wenn sie das Leben anderer übermäßig belastet und wenn der Betroffene einen Leidensdruck beklagt. Das ist aber selten der Fall. Aufgrund der verzerrten Sichtweise erleben diese Menschen sich nicht als gestört. Auch psychotische oder schizophrene Menschen erkennen ihren Zustand nicht. Daher begeben sie sich meist auch nicht aus eigenen Stücken in Behandlung.

Therapeutische Möglichkeiten

Die Behandlung solcher Erkrankungen kann mit Neuroleptika, Antidepressiva oder Psychopharmaka plus Psychotherapie erfolgen.

Oftmals liegt dem Verlust des Realitätssinns bei psychischen Erkrankungen ein Botenstoffmangel im Gehirn vor (siehe Neurotransmitter, Serotonin, Noradrenalin, Dopamin, GABA). Dieses Defizit muss ausgeglichen werden. Das ist nur medikamentös möglich. Die meisten Medikamente müssen eingeschlichen werden. Sie müssen sich erst im Gehirn anreichern. Das kann einen Monat oder länger dauern. Nicht nur in der Übergangszeit ist es wichtig, die Medikamenten-Therapie auch durch eine Psychotherapie zu begleiten. Die Betroffenen müssen das Krankheitsgeschehen verstehen (vgl. auch Psychoedukation in der Therapie). Nur dann können sie eine andere Realitätssicht erlangen und dazu beitragen, dass sie wieder gesunden. Sie sollen ihren Zustand zumindest stabilisieren können.


Antidepressiva – Einführung, Überblick, Liste der Mittel


Theoretisch kann die Symptomatik des Realitätsverlustes auch nach einer Belastung mit bestimmten Viren, Bakterien, Pilzen oder Parasiten entstehen. Einige Erreger sind in der Lage, Wahrnehmungsveränderungen im Gehirn auszulösen. Dazu gehören beispielsweise das Cytomegalie-Virus, das Herpes-Virus, die Toxoplasmose-Erreger, oder Viren, die eine Frühsommer-Meningo-Enzephalitits (FSME) auslösen. Auch Bakterien, die von Zecken übertragen werden und Lyme-Borreliose auslösen, sind mögliche Auslöser. Hier muss die Therapie ursachenbezogen ausfallen. Sie schließt in der Regel keine Psychotherapie ein.

Realitätsverlust Symptome, Definition, Behandlung — Quellen:

Ängste, Phobien, Panikattacken > Angststörungen und Angsterkrankungen