Ein Kapitel für sich – Angststörungen bei Kindern und Jugendlichen

Angststörungen bei Kindern und Jugendlichen gehören eher zu den „stillen“ psychischen Störungen, denn anders als die hyperkinetischen Störungen wie z. B. das ADHS und Störungen des Sozialverhaltens werden Angststörungen bei Kindern von der Umgebung kaum wahrgenommen. Das mag auch der Grund dafür sein, dass Kinder mit Angststörungen deutlich weniger in Behandlungseinrichtungen als Patienten auftauchen als erwachsene Angstpatienten und das, obwohl Angststörungen die häufigsten psychischen Störungen im Kindes- und Jugendalter darstellen.

Ausgeprägte Angststörungen werden bei 10 – 15 % der Grundschulkinder und bei 5 – 10 % der Jugendlichen angetroffen. Auch in diesen Altersgruppen verursachen Angststörungen einen hohen Leidensdruck und können, da sie oft nicht erkannt werden, langfristig zu einem ernsten Problem werden. Aufschluss über den Beginn der Angststörungen im Kindes- und Jugendalter liefern zahlreiche Untersuchungen. Spezifische Phobien (siehe Phobie Definition) und Angststörungen, die mit Trennungsangst verbunden sind, beginnen durchschnittlich ab dem 7. Lebensjahr. Soziale Phobien machen sich in der überwiegenden Zahl der Fälle ab dem 13. Lebensjahr bemerkbar. Das Auftretensalter weiterer Angsterkrankungen wie z. B. der generalisierten Angststörung liegt um das 19. Lebensjahr herum. Fasst man die Ergebnisse der diversen Untersuchungen zusammen, haben rund 75 % der Angststörungen bis zum Alter von 21 Jahren begonnen. Diese Daten verdeutlichen, dass die Hauptrisikoperiode für die Entstehung einer Angsterkrankung im Erwachsenenalter bereits im Kindes- und Jugendalter liegt.

STATISTIK: Angst von Kindern vor Krankheiten: Ich fürchte mich davor, sehr krank zu werden - Die vorliegende Statistik zeigt Ergebnisse der Elefanten-Kindergesundheitsstudie 2011, die das Schuhunternehmen Elefanten in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Kinderschutzbund und Pro Kids im August 2012 veröffentlicht hat. Insgesamt wurden 4.961 Schüler und Schülerinnen nach ihrer Angst vor dem Krankwerden befragt. Nur rund sechs Prozent der befragten Kinder gaben an, dass sie wenig Angst vor Krankheiten hätten. (Quelle: STATISTA / Elefanten-Kindergesundheitsstudie 2011, Seite 39)
STATISTIK: Angst von Kindern vor Krankheiten: „Ich fürchte mich davor, sehr krank zu werden“ > Die vorliegende Statistik zeigt Ergebnisse der „Elefanten-Kindergesundheitsstudie 2011“, die das Schuhunternehmen Elefanten in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Kinderschutzbund und Pro Kids im August 2012 veröffentlicht hat. Insgesamt wurden 4.961 Schüler und Schülerinnen nach ihrer Angst vor dem Krankwerden befragt. Nur rund sechs Prozent der befragten Kinder gaben an, dass sie wenig Angst vor Krankheiten hätten. (Quelle: STATISTA / Elefanten-Kindergesundheitsstudie 2011, Seite 39)

Entwicklungsangemessene Angstformen

Bei Kindern und Jugendlichen wird – wie bei Erwachsenen – immer dann von einer Angststörung ausgegangen, wenn die Angst in ihrer Intensität und Dauer in einem groben Missverhältnis zur auslösenden Ursache steht. Bestimmte Angstformen sind jedoch für spezifische Entwicklungsstufen eines Kindes typisch bzw. Bestandteil einer normalen Entwicklung. Die Unterscheidung einer entwicklungsangemessenen Angst von einer krankhaften Angst ist somit wichtig. Die bekanntesten „normalen“ Ängste im Kindesalter sind die Fremden- und Trennungsangst, die durch die enge Bindung des Säuglings an seine Bezugsperson entsteht.

Fremdenangst

Die Fremdenangst entwickelt sich in etwa um den 8. Lebensmonat, wenn der Säugling gelernt hat, vertraute und fremde Personen voneinander zu unterscheiden. Fremde Personen rufen beim Säugling Furcht und Unmut hervor, er verhält sich demzufolge in entsprechenden Situationen vorsichtig, furchtsam und anklammernd. Um den 1. Geburtstag herum nimmt die Fremdenangst bei normaler kindlicher Entwicklung wieder ab.

Trennungsangst

Die Trennungsangst beginnt um den 10. Lebensmonat herum und bildet sich nach dem 18. Monat wieder zurück. Für diese Phase ist typisch, dass das Kind die Trennung von der Mutter kaum tolerieren kann und sich durch Schreien und Anklammern gegen die Trennung wehrt. Während der Trennung sucht es nach seiner Mutter oder ruft nach ihr. Am Ende des 3. Lebensjahrs sind die meisten Kinder in der Lage, eine Trennung von der Mutter für eine kurze Zeit zu tolerieren und sich z. B. durch Spielen mit anderen Kindern abzulenken, weshalb der Kindergartenbesuch möglichst nach dem 3. Lebensjahr beginnen sollte.

Entwicklung von Angststörungen im Kindesalter

Während der Kindheit sind Angst und Sorgen keinesfalls ungewöhnliche Phänomene. Allgemein zeigen jüngere Kinder häufiger Ängste als ältere und Mädchen mehr als Jungen. Mit zunehmenden Alter verändern sich die Ängste und äußern sich in Furcht vor Dunkelheit, Angst, dass einem Familienmitglied etwas zustoßen könnte, Versagensängsten in der Schule (siehe Versagensangst), körperlichen Beschwerden, Sorgen um Gesundheit und Tod bis hin zu Sorgen hinsichtlich sozialer Kontakte.

Die Entwicklung einer Angststörung im Kindesalter dürfte in erster Linie auf dem Zusammentreffen biologischer, psychischer und sozialer Risikofaktoren beruhen. Genetische Faktoten bilden dabei die biologische Basis für die Entstehung einer Angststörung, aber nicht notwendigerweise für eine spezifische Angsterkrankung.

Typisch für ängstliche Kinder ist, dass sie bei der Konfrontation mit einem Angststimulus sehr schnell ein hohes Erregungsniveau erreichen, das auch im Ruhezustand bereits deutlich erhöht ist und auf genetisch bedingte Störungen im Botenstoffwechsel des Gehirns zurückzuführen ist. Zu den psychischen Risikofaktoren gehören bestimmte Temperamentsmerkmale wie z. B. eine ungewöhnliche Scheu und Furcht sowie Rückzugsverhalten in unbekannten Situationen.

Die Kombination von erhöhtem Erregungsniveau, Scheu, Furcht und Rückzugsverhalten kann leicht zu einem erlernten übermäßigen Angstverhalten führen. Daneben spielen auch soziale Faktoren wie Erziehungsstil, elterliches Verhalten (Vorbildfunktion) und kritische Lebensereignisse eine Rolle. Insbesondere ein vorgelebtes ängstliches Verhalten der Eltern ist dabei prägend. Ängstliche Eltern stehen dem ängstlichen Verhalten ihrer Kinder nicht selten verständnisvoll gegenüber, sind jedoch nicht in der Lage, ihren Kindern den Rücken zu stärken und ein selbstsicheres Verhalten mit auf den Lebensweg zu geben, da sie es selbst nie erlernt haben. Nicht selten stammen angstkranke Kinder aus einem angsterzeugenden Milieu, in dem sie von ihren Eltern ständig überwacht werden. Das kann in Extremfällen so weit gehen, dass nicht nur Nahrungsmenge und Stuhlgang kontrolliert werden, sondern auch über die Zahl der Atemzüge und den Puls Protokoll geführt wird. Dabei sind keinesfalls immer die Mütter die Kontrollinstanzen, auch Väter können ihre Töchter in eine Angststörung treiben, indem sie ihnen auf Schritt und Tritt folgen, Kontakte kontrollieren und dabei selbst vor Teeniekonzerten und Partys nicht Halt machen.

Kindliche Angststörungen haben viele Gesichter

Die aus den entwicklungsangemessenen Angstformen entstehenden Angststörungen sind je nach Alter der betroffenen Kinder unterschiedlich. So finden sich im frühen Kindesalter vermehrt Angstformen, die auf Trennungs- und Fremdenängste zurückzuführen sind, z. B. Ängste vor dem Einschlafen, vor Fremden, Tieren und Märchenfiguren oder Kindergartenverweigerung. Aber auch exzessives Schreien, Schlafstörungen, Fütter- und Gedeihstörungen sowie Bettnässen können Ausdruck einer Angststörung im Kleinkindesalter sein. Angstattacken des Kleinkindes können für eine überängstliche Mutter von besonderer Bedeutung sein. Ihre permanente Anwesenheitskontrolle zum vermeintlichen Schutz des Kindes kann sich zu einem regelrechten Terrorregime entwickeln, dem sich u. U. die ganze Familie unterwerfen muss. Auch bei gestörten Ehen können Angststörungen bei Kleinkindern regelrecht ausgenutzt werden, wenn das Kind ins Elternschlafzimmer einzieht, der Vater wiederum ausquartiert und ins Kinderzimmer verbannt wird. Solche Schutz- und Trutz-Bündnisse zwischen Mutter und Kind sind für die kindliche Entwicklung nahezu immer fatal.

Bei älteren Kindern im Schulalter dominieren gemischte physische und psychische Symptome (vgl.: psychisch krank), die auf eine generalisierte Angststörung oder eine soziale Phobie hinweisen können. Ausdruck von Angststörungen in diesem Alter können Schulverweigerung, -phobie oder -angst sein, aber auch häufige Übelkeit, Erbrechen und Bauchschmerzen. Nicht selten wird auch eine Enuresis beobachtet, worunter man das Auftreten von Bettnässen nach dem 5. Lebensjahr versteht. Schulverweigerungen sind in diesem Zusammenhang ein interessantes Thema, denn Schulphobie, Schulangst und Schulschwänzen sind alle von Angst begleitet, haben jedoch unterschiedliche Ursachen.

  • Bei der Schulphobie wird fälschlicherweise die Schule als Angstursache beschuldigt. In Wirklichkeit trennen die Kinder sich bereits im Kindergarten schwer von ihren Müttern und reagieren mit Angstattacken auf die Furcht, von ihren Müttern verlassen zu werden, was sich bis in das Schulalter fortsetzt. Unbewusste Signale der Mutter können diese Trennungsangst noch verstärken und zu panischen Angstattacken sowohl beim Kind als auch bei der Mutter führen.
  • Bei der eigentlichen Schulangst haben die Kinder triftige Gründe, die Schulsituation zu vermeiden. Sie fürchten sich vor Hänseleien, Demütigungen und Kränkungen, denen Leistungsdefizite oder körperliche Makel zugrunde liegen und fühlen sich seelisch, körperlich oder auch intellektuell überfordert, diskriminiert und ausgegrenzt. Morgendliches Unwohlsein, Erbrechen oder Bauchschmerzen führen zum häufigen Fernbleiben von der Schule, was zunächst eine Entlastung für die Kinder darstellt, andererseits leiden sie jedoch unter Schuldgefühlen den Eltern gegenüber, weil sie deren Erwartungen – brav zur Schule zu gehen und Leistung zu zeigen – nicht gerecht werden.
  • Schulschwänzen wird bei älteren Kindern beobachtet, die die unlustbetonte Schulsituation gegen eine lustbetonte Verhaltensweise eintauschen. Sie zahlen dafür jedoch einen hohen Preis, nämlich die permanente Angst, dass ihr häufiges Schulschwänzen von den Eltern entdeckt wird. Diese machen sich dann betroffen von der Tatsache, einen notorischen Schulschwänzer in ihrer Mitte zu haben, nicht selten zu Komplizen ihres Kindes, indem durch nachträglich ausgestellte Entschuldigungen oder ärztliche Atteste die Schande verborgen bleiben soll und dem Schulschwänzen Vorschub geleistet wird.
STATISTIK: Anteil der Schüler mit depressiven Stimmungen nach Risikofaktoren > Die vorliegende Statistik zeigt die Ergebnisse einer Umfrage unter deutschen Schülern allgemeinbildender und berufsbildender Schulen zur Verbreitung von depressiven Stimmungen und Faktoren, die diese begünstigen, aus dem Jahr 2010. Rund 42,8 Prozent der befragten Schüler, die subjektiv unter einem hohen Leistungsdruck standen, gaben an, auch unter depressiven Stimmungen zu leiden. (Quelle: STATISTA / DAK; Leuphana Uni Lüneburg
STATISTIK: Anteil der Schüler mit depressiven Stimmungen nach Risikofaktoren > Die vorliegende Statistik zeigt die Ergebnisse einer Umfrage unter deutschen Schülern allgemeinbildender und berufsbildender Schulen zur Verbreitung von depressiven Stimmungen und Faktoren, die diese begünstigen, aus dem Jahr 2010. Rund 42,8 Prozent der befragten Schüler, die subjektiv unter einem hohen Leistungsdruck standen, gaben an, auch unter depressiven Stimmungen zu leiden. (Quelle: STATISTA / DAK; Leuphana Uni Lüneburg
STATISTIK: Reaktionen von Kindern auf Schulstress > Welche Reaktionen ruft Schulstress bei Ihrem eigenen Kind hervor? – Rund 29 Prozent der von Forsa befragten Eltern gaben „Unwille zur Schule zu gehen“ als Reaktion ihrer Kinder auf Schulstress an. (Quelle: STATISTA / Forsa / DAK)
STATISTIK: Reaktionen von Kindern auf Schulstress > Welche Reaktionen ruft Schulstress bei Ihrem eigenen Kind hervor? – Rund 29 Prozent der von Forsa befragten Eltern gaben „Unwille zur Schule zu gehen“ als Reaktion ihrer Kinder auf Schulstress an. (Quelle: STATISTA / Forsa / DAK)
STATISTIK: Anteil der Schüler mit depressiven Stimmungen in Deutschland > Die vorliegende Statistik zeigt die Ergebnisse einer Umfrage unter deutschen Schülern allgemeinbildender und berufsbildender Schulen zur Verbreitung von depressiven Stimmungen aus dem Jahr 2010. Rund 27,8 Prozent der weiblichen Befragten gaben an, unter depressiven Stimmungen zu leiden. (Quelle: STATISTA / DAK / Leuphana Uni Lüneburg)
STATISTIK: Anteil der Schüler mit depressiven Stimmungen in Deutschland > Die vorliegende Statistik zeigt die Ergebnisse einer Umfrage unter deutschen Schülern allgemeinbildender und berufsbildender Schulen zur Verbreitung von depressiven Stimmungen aus dem Jahr 2010. Rund 27,8 Prozent der weiblichen Befragten gaben an, unter depressiven Stimmungen zu leiden. (Quelle: STATISTA / DAK / Leuphana Uni Lüneburg)

Angststörungen im Jugendalter entwickeln sich schließlich zu realen und existenziellen Ängsten, die zu Angstanfällen und psychosomatischen Erkrankungen führen können wie das bei Erwachsenen mit Angststörungen der Fall ist. Neben Schulverweigerung kommen Angst vor Krankheit und Tod, Verlust- und Leistungsangst, Pubertätskrisen und Panikstörungen vor. Zu den psychosomatischen Erkrankungen (siehe auch Somatisierung) gehören Essstörungen wie die Anorexia nervosa und Bulimie. Nicht selten stehen auch diffuse Schmerzen im Vordergrund.

Angststörungen können sich bei Kindern und Jugendlichen auch hinter Depressionen, Zwangssymptomen und Aggressivität verstecken. Bei der Depression steht die Angst bei den betroffenen Kindern ganz im Vordergrund: Angst vor der Trennung von den Eltern, Angst vor der Schule, vor Krankheit und Tod. Zwangssymptome werden beherrscht von der Angst, Entscheidungen treffen zu müssen und dabei eine verkehrte Wahl zu treffen. Steigt die Angst vor der Entscheidung auf, wird sie durch Denkzwänge, stereotypische Handlungen und Rituale unterdrückt. Und auch hinter Aggressivität von Kindern verstecken sich nicht selten massive Ängste, von denen sie sich durch scheinbar unmotivierte aggressive Präventivschläge zu befreien versuchen.

STATISTIK: Kinder – Angst vor dem Jobverlust der Eltern > Zustimmung zur Aussage „Ich habe manchmal Angst, dass meine Mama oder mein Papa die Arbeit verliert“ auf einer Skala von 1 (Stimmt überhaupt nicht) bis 5 (Stimmt total) > 21,3 Prozent der befragten Kinder sagen: „Es stimmt total, dass ich manchmal Angst vor dem Jobverlust meiner Eltern habe“. (Quelle: STATISTA / iconkids & youth)
STATISTIK: Kinder – Angst vor dem Jobverlust der Eltern > Zustimmung zur Aussage „Ich habe manchmal Angst, dass meine Mama oder mein Papa die Arbeit verliert“ auf einer Skala von 1 (Stimmt überhaupt nicht) bis 5 (Stimmt total) > 21,3 Prozent der befragten Kinder sagen: „Es stimmt total, dass ich manchmal Angst vor dem Jobverlust meiner Eltern habe“. (Quelle: STATISTA / iconkids & youth)

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