Fokaltherapie beim Psychotherapeuten (© Photographee.eu / stock.adobe.com)

Fokaltherapie (Form der psychoanalytischen Kurzpsychotherapie)

Michael Balint gilt mit seinem Team als der Erfinder einer psychoanalytischen Kurztherapie: der sogenannten Fokaltherapie. Der Anlass zur Entwicklung dieser verkürzten Psychoanalyse-Form war, dass die von Siegmund Freud entwickelte Psychoanalyse meistens mehrere Jahre Therapie erforderte.

Im Unterschied zu Freud konzentrierte sich Balint in der Therapie auf das allem zugrunde liegende Kernproblem. Damit verkürzte er den therapeutischen Prozess um die Hälfte oder mehr. Außerdem setzte der Therapeut sich dem Patienten gegenüber. Bei Siegmund Freud-Anhängern sitzt der Therapeut traditionell hinter dem Patienten, während dieser auf einer Couch liegt. Es besteht kein Sichtkontakt zwischen beiden.

Der verkürzte Therapieprozess von Balint beruht auf der frühzeitigen Festsetzung eines Fokalzieles. Dieses setzte jedoch die zügige Herausarbeitung des Kernkonfliktes voraus, der einer Abklärung und Bearbeitung bedurfte. Der Fokaltherapeut ermittelt diesen Konflikt durch gezielte Fragen zu Beginn der Fokaltherapie. Der Patient begegnet seinem Therapeuten auf Augenhöhe. Er nimmt Stellung zum ermittelten Konflikt und äußert seine Gefühle oder Gedanken dazu. Die Interaktion mit dem Therapeuten soll den Klienten dann aus dem Konflikt befreien – und zwar in erstaunlich wenigen Sitzungen. Als normal gelten zehn bis maximal 30 Sitzungen.

Vor- und Nachteile der Fokaltherapie

Einer der großen Vorteile der Fokaltherapie liegt in ihrer Fokussierung. Statt einen Wust von Erzählungen, Problemen und Nebenschauplätzen zu betrachten, die der Patient in jeder Sitzung präsentiert, geht der Therapeut fokussiert auf das aus seiner Sicht zugrunde liegende Kernproblem ein. Da die Patienten in der Regel nicht verstehen, dass hinter den meisten ihrer „Geschichten“ und Probleme nur ein oder zwei Hauptprobleme liegen, ist es am Therapeuten, diese zu erkennen. Für den Klienten ist es notwendig, diese Priorisierung auf einen Konflikt zu akzeptieren, und mit dem Therapeuten gezielt daran arbeiten zu wollen.

Ergibt sich während der Fokaltherapie, dass ein zweiter Themenkreis zur Gesundung ebenso wichtig ist, kann dieser nach der Bearbeitung des ersten Konfliktes ebenso bearbeitet werden. Die auf Kürze angelegte Fokaltherapie verlängert sich dann entsprechend. Sie ist aber immer doch deutlich kürzer als jede andere Psychoanalyse. Meistens wird eine Fokaltherapie auf einen Mittelwert von 20 Sitzungsstunden festgesetzt. Eine Psychoanalyse nach dem Vorbild von Siegmund Freud kann hingegen mehrere Jahre dauern.

Der Nachteil der psychoanalytischen Fokaltherapie liegt im Grundsatz, möglichst schon nach dem Erstgespräch festzusetzen, was das Kernthema der Sitzungen sein soll. Die Klienten sehen ihre Probleme oft ganz woanders. Oft reden sie viele Sitzungen lang um das eigentliche Problem drum herum, weil es zum Teil verdrängt wird oder schambesetzt ist. Viele Klienten fühlen sich zudem missachtet, wenn alles, was sie vermeintlich belastet, vom Therapeuten beiseitegeschoben und auf ein Kernproblem reduziert wird. Aussichtsreich und geeignet ist eine Fokaltherapie nur dann, wenn es schon nach dem Erstgespräch oder nach wenigen Sitzungen möglich ist, das Fokalthema festzusetzen. Dieses Thema soll eine belegbare lebensgeschichtliche Relevanz haben.

Der Therapeut muss mit seinen Strategien verhindern, dass im Klienten Abwehr gegen seine Deutung des Fokusthemas entstehen kann. Der Therapeut muss außerdem bereit sein, seine anfängliche Deutung mit dem Fortschreiten der Fokaltherapie gegebenenfalls zu verändern oder erweitern. Um sich nicht in der Unübersichtlichkeit des vom Klienten erzählten Erlebens zu verlieren, sollte der Therapeut sich regelmäßig einer Fokal-Konferenz mit Kollegen bedienen. So gelingt es ihm, das eigentliche Thema der Kurztherapie immer wieder in den Blick zu nehmen. Er muss in der folgenden Sitzung erneut den Fokus auf das ermittelte Kernthema legen, um die Therapie straffen zu können. Das verlangt dem Fokaltherapeuten einiges an Konzentration und Fokussierung ab.


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Wird die Fokaltherapie von der gesetzlichen Krankenkasse finanziert?

Die Antwort ist ein klares JA. Die Fokaltherapie gehört zu den anerkannten psychoanalytisch begründeten Therapieverfahren. Für alle Therapieverfahren, die als psychoanalytisch begründet gelten, werden bei psychischen Störungen und Erkrankungen daher von den gesetzlichen Krankenkassen die Kosten übernommen. Diese Regel gilt im Einzelnen für folgende Therapieformen:

Außerdem werden von den gesetzlichen Krankenkassen die analytische Psychotherapie, die systemische Therapie und die Verhaltenstherapie als wissenschaftlich sinnvoll anerkannt. Nicht in Deutschland anerkannt werden derzeit alle anderen Therapieverfahren – beispielsweise die Gestalttherapie, das Psychodrama, die Humanistische Psychotherapie, die Logotherapie, die Transaktionsanalyse oder das respiratorische Feedback. Diese Entscheidung wird auch in Fachkreisen immer wieder diskutiert. Sie ist sehr umstritten, weil andere Therapieverfahren ebenso hilfreich sein können. gegebenenfalls müssen die Patienten solche Therapieverfahren selbst finanzieren.

Welche Störungen müssen für eine Fokaltherapie vorliegen?

Der wichtigste Punkt zur Beantragung und Bewilligung einer psychoanalytischen Kurztherapie ist die Krankhaftigkeit einer Störung. Es muss eine echte, vom Gutachter bestätigte psychische Störung oder Erkrankung vorliegen, beispielsweise

Ob der Klient eine therapiefähige Störung hat, klärt in der Regel ein Psychologischer Psychotherapeut mit Kassenzulassung oder ein Facharzt der Psychiatrie.

Welche Störungen sind krankhaft, welche nicht?

Therapien für lebensbedingte Probleme, Erziehungs- oder Eheprobleme werden von den gesetzlichen Krankenversicherungen nur dann übernommen, wenn daraus eine krankhafte Störung wie Depressionen, Angsterkrankungen oder Persönlichkeitsstörung entstanden sind. Alternativ müssen die vorliegenden Probleme auf solchen krankhaften Störungen basieren. Es genügt also nicht, dass jemand schnell gereizt und übertrieben genervt ist. Er muss schon ein Beziehungsphobiker sein, der von krankhafter Beziehungsangst geplagt wird. Es muss ein Leidensdruck bestehen, der mindestens seit einem halben Jahr besteht. Ein sprunghafter Persönlichkeitsstil muss nicht notwendigerweise auf eine krankhafte psychische Komponente hinweisen. Er kann auch andere Gründe haben.

Wenn jemand von Angst durchzudrehen geplagt wird, kann das die Folge einer momentan belastenden Situation sein. Vielleicht hat der Betreffende gerade gehört, dass er wegen vermeintlicher Geschäftsschädigung fristlos entlassen wurde. Dass jemand dadurch Angst hat, durchzudrehen, ist verständlich. Doch erst wenn die Angstbewältigung nicht mehr gelingt, und die Ängste sich verselbstständigen, ist ein Krankheitswert anzunehmen. Zunächst aber muss der Klient mindestens sechs Monate in Angst verbracht haben, ohne dass er seine Ängste vor dem Durchdrehen in den Griff bekommen konnte. Vielmehr müssen diese Ängste zu Rückzugsverhalten, Lethargie, Verzweiflung, Selbstaufgabe und dem Abbruch sozialer Kontakte geführt haben. Auch körperliche Symptome können entstehen.

Beispiel: Wann ist Aufschieberitis behandlungsbedürftig?

Ebenso verhält es sich bei der sogenannten „Aufschieberitis“. Damit ist gemeint, dass jemand alles Mögliche, was getan werden müsste, immer öfter auf morgen oder einen anderen Tag verschiebt. Dieses Verhalten kann durchaus auf Faulheit zurückzuführen sein. Es kann vornehmlich ungeliebte Aufgaben betreffen. Eine krankhafte Prokrastination liegt dann aber noch nicht vor. Von dieser sprechen Fachärzte erst, wenn die Neigung zum Verschieben wichtiger Dinge krankhaft geworden ist. Unter Studenten finden sich beispielsweise immer öfter Menschen, die wegen psychischer Störungen wichtige Semesterarbeiten nicht abgeben. Daraufhin haben einige deutsche Universitäten Prokrastinations-Ambulanzen eingerichtet. Das deutet auf eine steigende Zahl von Studenten hin, die durch Leistungsdruck oder private Probleme psychische Symptome entwickeln.

 

Wenn jemand grundsätzlich erst unter Druck zu Hochform aufläuft und seine Semesterarbeit immer auf den letzten Drücker abgibt, dem wird deswegen noch lange kein Krankheitswert bescheinigt. Krankhafte Prokrastination kann auch darin verursacht sein, dass jemand ein Perfektionist ist. Dieser erledigt aus panischer Angst vor dem Versagen wichtige Dinge nicht fristgerecht. Wer sich daraufhin minderwertig und wertlos fühlt, oder Depressionen, Zwangsstörungen oder eine Angsterkrankung entwickelt, hat eindeutig eine psychische Störung. Es muss außerdem festgestellt werden, dass die „Verschieberitis“ das Berufs- und Privatleben des Betroffenen massiv belastet. Sie muss bei dem Betroffenen zu psychischen Symptomen geführt haben.

Möglicherweise ist die Verschieberitis auch als Folge einer bereits vorliegenden Erkrankung wie Depressionen, ADHS oder einem Burn-out entstanden. Oft ist sie nur ein Symptom. Das Verschieben wichtiger Aufgaben stellt oft gar nicht das eigentliche Problem dar. Behandelt wird in diesem Fall nicht das Aufschieben von Aufgaben, sondern die zugrunde liegende Störung. Im ICD 10 wird die Prokrastination aus diesem Grund bisher nicht als eigenständige psychische Störungen gelistet. Folglich bietet auch keine Therapie eine Maßnahme, die diese Störung direkt betrifft. Wird für die Aufschieberitis keine psychische Störung als Ursache ermittelt, erhält der Betroffene wahrscheinlich keine Therapie-Zusage von der Krankenversicherung.

Quellen:

Ängste, Phobien, Panikattacken > Angststörungen und Angsterkrankungen