F42.1 Diagnose laut ICD - Zwangshandlungen und zwanghaftes Verhalten (© magele-picture / stock.adobe.com)

Bedeutung der Diagnose F42.1 laut ICD 10

Jan ist 28 Jahre alt und beschreibt seine „Marotte“ (die später die Diagnose F42.1 vom Arzt erhält) folgendermaßen:

„Ich dusche ziemlich viel, lange, wasche mir auch häufig die Hände mit einem bestimmten Ritual. Jetzt wasche ich erst mal so den groben Schmutz weg, dann noch ein zweites Mal sicherheitshalber. Jetzt gehe ich beim nächsten Mal ein bisschen mehr in die Tiefe. Das heißt, ich fange noch an, das Handgelenk mitzuwaschen, dann zwischen den Fingern zweimal, immer zweimal, damit es, falls es das erste Mal nicht war, gutgeht. Und jetzt kommen noch mal die Finger einzeln.“ (youtube.com/watch?v=qsr6pnAysuM)

Die Angst des jungen Mannes vor einer Kontamination mit Viren und Bakterien sowie das Bedürfnis, sich davor durch übermäßige Reinlichkeit zu schützen, steigert sich schleichend, unbewusst jeden Tag ein bisschen mehr. Schließlich verbraucht Jan 14 Flaschen Duschgel und sieben Flaschen Handseife pro Woche.

Mit großer Sorge verfolgen die Eltern die Veränderung ihres Sohnes, dessen Hände mittlerweile ganz spröde sind sowie zu blutigen und juckenden Hautekzemen neigen. In dieser Zeit kommt es häufig innerhalb der Familie zu Spannungen, weil der Vater und die Mutter das Waschverhalten Jans nicht nachvollziehen können und es kritisieren. Doch dieser kann nicht anders, als seinem inneren Zwang zu folgen.

Es vergehen einige Monate, die den Mann zunehmend in die soziale Isolation führen, weil er sich kaum mehr traut, öffentliche und vermeintlich verschmutzte Orte aufzusuchen. Jan leidet unter seiner Situation. Oft denkt er voller Sehnsucht an sein früheres Leben zurück, als er sich unbeschwert mit Freunden in einer Bar treffen konnte und dabei keinen Gedanken an die Frage verschwendet hatte, ob das Glas in seiner Hand keimfrei sei.

Schließlich lastet der psychische Druck so stark auf dem jungen Mann, dass er sich hilfesuchend an seinen Hausarzt wendet. Dieser erkennt alsbald das seelische Problem und rät Jahn, einen Psychotherapeuten zu konsultieren (siehe auch: Psychotherapie Arten). Auf dem Überweisungszettel an seinen Kollegen notiert der Mediziner unter der Rubrik „Diagnose“: Verdacht auf ICD-10 F42.1.

Wie es vielen andere Patienten auch häufig mit Arztbriefen ergeht, weiß Jan mit diesem codierten Befund nichts anzufangen. Doch es ist ihm wichtig, alles über seine Erkrankung zu erfahren, angefangen von den Ursachen bis hin zu Therapiemöglichkeiten. Nur wer seinen Feind gut kennt, kann ihn effektiv bekämpfen, denkt er.

Zu Hause recherchiert Jan die von seinem Hausarzt gestellte Diagnose im Internet und verschafft sich so einen umfangreichen Überblick über sein Krankheitsbild:

ICD-10 F42.1

Die ICD-10 ist ein weltweit anerkanntes Klassifikationssystem der Krankheiten, das Ärzte zur Erstellung von Diagnosen heranziehen (hier eine Übersicht über den Inhalt der ICD-10: praxis-wiesbaden.de/icd10-gm-diagnosen/). F42.1 ist Teil des Kapitels V, das die Überschrift „Psychische und Verhaltensstörungen“ trägt, und zählt zu der Gruppe „Neurotische, Belastungs- und somatoforme Störung“ (F40-F48).

F42 befasst sich mit dem Thema „Zwangsstörung“ und beschreibt diese als wiederkehrende Vorstellungen, Ideen oder Impulse, die den Patienten permanent beschäftigen oder die er ständig wiederholt. Die ICD-10 unterschiedet also zwischen

  • „Vorwiegend Zwangsgedanken“ (F42.0) auf der einen Seite und
  • „Vorwiegend Zwangshandlungen“ (F42.1) auf der anderen Seite.

Detailliert ist unter F42.1 zu lesen, dass Zwangshandlungen in den meisten Fällen im Zusammenhang mit Reinlichkeit – etwa häufiges Waschen der Hände – oder Kontrollieren – etwa ständiges Überprüfen, ob Elektrogeräte ausgeschaltet sind – auftreten würden. Hinter diesem übertriebenen Verhalten stecke die Furcht vor einer Gefahr, die einen selbst bedrohen oder die von einem selbst ausgehen könnte. Dabei sei das Ritual der Zwangshandlung der wirkungslose oder auch als symbolhaft anzusehende Versuch, potenzielle Gefährdungen abzuwenden. (praxis-wiesbaden.de/icd10-gm-diagnosen/block-f40-f48.php)

Arten von Zwangshandlungen

Zwangshandlungen sind in der Regel die Folge von Zwangsgedanken. Bei Julia hat beispielsweise die Vorstellung, die Ordnung im Kleiderschrank könne durch nicht nach Farbe und Größe sortierte Bügel aus den Fugen geraten, dazu geführt, dass

„… ich kaum mehr meinen Kleiderschrank benutzt habe“ (youtube.com/watch?v=qsr6pnAysuM).

Viel Zeit verbringt diese Frau auch damit, jeden Tag ihr Bett abzusaugen, weil sie, wie sie sagt, keine Fusseln darauf mag.

Bei der F42.1 Erkrankung kreisen die Gedanken Betroffener inhaltlich häufig um Fragen rund um das Thema Schmutz und Ordnung. Stets geht es darum, eine subjektiv empfundene Bedrohung weitestgehend von sich fernhalten zu wollen, indem ein ritualisiertes Verhalten die vermeintliche Gefahr bannen soll.

In Bezug auf Kontrollzwang erläutert Dr. Eva Kischkel, Psychologische Psychotherapeutin:

„Das Hauptproblem bei Patienten mit Zwangsstörungen ist, dass sie im Prinzip im Kopf dieses Haken-dran-Gefühl nicht mehr haben. Und das bedeutet, wenn ich eine Handlung gemacht habe, dass ich danach nicht mehr sicher bin, ob ich sie wirklich getan habe.“ (youtube.com/watch?v=AnGQV5KCzh8)

Zu den häufigsten Zwangshandlungen zählen:

– Waschzwang

Das Leben Betroffener ist bestimmt von der panischen Angst, in Berührung mit Viren oder Bakterien zu kommen. Aus diesem Grund meiden sie zum Beispiel öffentliche Toiletten oder haben Probleme, einen Einkaufswagen im Supermarkt anzufassen. Aus Gründen unverhältnismäßiger Vorsicht waschen sie sich daher übermäßig häufig die Hände, schrubben die Wohnung und benutzen zusätzlich oft noch Desinfektionsmittel. Ihnen ist indes nicht klar, dass sie damit genau das Gegenteil ihrer erhofften Wirkung erzielen, da zum Beispiel zu viel Seife auf Dauer die Haut rissig macht und sie dadurch zu einem Einfallstor für Keime wird.

– Kontrollzwang

Habe ich den Herd ausgeschaltet? Ist das Bügeleisen noch an? Menschen mit krankhaftem Kontrollzwang sind geleitet von der Furcht, durch eigene Unzulänglichkeiten Katastrophen auszulösen, die sie bei größerer Achtsamkeit hätten vermeiden können. Betroffene verwenden oft einen großen Zeitaufwand für die Kontrolle, ob zum Beispiel alle Fenster sorgsam geschlossen sind. Doch selbst nach allen Maßnahmen der Überprüfung stellt sich bei ihnen nach Verlassen des Hauses kein Gefühl der Sicherheit ein.

– Ordnungszwang

Diese Form des Zwanges ist dadurch charakterisiert, dass die Dinge, von denen Betroffene umgeben sind oder mit denen sie sich beschäftigen, nach strengen Kriterien, die allerdings keiner rationalen Logik folgen, geordnet sein müssen. Dabei kann es sich etwa um Bücher handeln, die alle – zum Beispiel sortiert nach Farbe oder Größe – ihren bestimmten Platz haben, oder um Dosen, die exakt aufeinander gestapelt sein müssen. Eine Abweichung vom System führt bei psychisch Erkrankten zu größter innerer Unruhe.

– Wiederhol- oder Zählzwang

Bei diesem Zwang verordnen sich Betroffene bestimmte Regeln und Schemata beim Ausführen von Handlungen. Das Kopfkissen muss beispielsweise fünf Mal hintereinander ausgeschüttelt werden, damit kein Unglück geschieht. Eine Unterbrechung dieses magischen Rituals macht es erforderlich, das Prozedere von vorne beginnen zu müssen.

– Sammelzwang

Hierbei steht die Sorge im Vordergrund, sich aus Versehen von Dingen zu trennen, die später noch einmal wichtig sein könnten. Auf diese Weise kommt es zu einer kaum mehr überschaubaren Ansammlung von Gegenständen in der Wohnung, die vollkommen überflüssig sind. Nicht selten durchwühlen Betroffene ihre Mülltonnen aus Angst, zu leichtfertig etwas weggeschmissen zu haben.


Siehe auch: Gemischte Zwangsstörung


F42.1 – Was sind die Ursachen?

Die Forschung geht davon aus, dass mehrere Faktoren für das Entstehen von Zwangshandlungen verantwortlich sein können. In vielen Fällen spielt eine genetische Vorbelastung eine Rolle. Hierzu heißt es auf der Website neurologen-und-psychiater-im-netz.org:

„Eine familiäre Häufung wurde mehrfach beobachtet, so leiden 3 bis 12 % der Verwandten ersten Grades (Geschwister, Eltern oder Kinder) ebenfalls an einer Zwangserkrankung, zwischen 8 und 30 % zeigen zumindest gewisse Zwangssymptome oder zwanghafte Verhaltensweisen.“

Bei vielen Patienten konnten auch Veränderungen des Hirnstoffwechsels oder der Hirnaktivität in bestimmten Bereichen festgestellt werden. Ungeklärt ist jedoch, ob diese neurobiologischen Prozesse Auslöser oder Begleiterscheinung der psychischen Störung sind.

Von Relevanz sind darüber hinaus psychologische Einflüsse, die häufig auf Erfahrungen während der Phase der Kindheit zurückzuführen sind. Lebt beispielsweise ein Elternteil extreme Reinlichkeit vor, kann dies für die weitere Entwicklung des Nachwuchses prägend sein.

Nicht zu unterschätzen sind auch plötzlich sich verändernde oder lang anhaltende Lebensumstände wie Stress, Mobbing oder der Tod eines Angehörigen, die das Bedürfnis erwecken können, durch bestimmte Zwangsrituale belastende Gefühle und Gedanken zu „neutralisieren“.

Nicht immer ist es möglich, die genaue Ursache herauszufinden, warum ein Individuum Zwangshandlungen entwickelt. Dennoch ist es ratsam, den Versuch zu unternehmen, die Motive zu ergründen, denn umso zielgerichteter können Psychologen therapeutische Konzepte entwickeln.

Wer ist betroffen?

Bei vielen Menschen mit Zwangserkrankungen ist die Hemmschwelle hoch, sich in ärztliche Behandlung zu begeben, sodass Schätzungen von einer großen Dunkelziffer Betroffener ausgehen. Nach offiziellen Zahlen sind etwa zwei bis drei Prozent der Bevölkerung in Deutschland daran schon einmal in ihrem Leben erkrankt.

Erste Anzeichen von Zwangsstörungen sind oft schon im Kindes- und Jugendalter auszumachen. Hier liegt der Anteil bei etwa ein bis drei Prozent. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Krankheit vor dem dreißigsten Lebensjahr auftritt, liegt bei 85 Prozent. In jüngeren Jahren sind häufiger Männer betroffen, mit zunehmendem Alter eher Frauen.

Nur ein Spleen oder eine behandlungsbedürftige psychische Erkrankung?

Wahrscheinlich haben sich viele nach dem Verlassen des Hauses schon mal die Frage gestellt, ob sie etwas Wichtiges wie das Abschalten der Kaffeemaschine vergessen haben. Es ist auch nicht ungewöhnlich, deswegen noch einmal zurückzukehren und alles zu überprüfen. Ebenfalls weit verbreitet ist der Ekel vor Schmutz, weshalb in vielen Haushalten mehr geputzt wird, als es für die Hygiene nötig ist.

Zur Krankheit werden Zwangshandlungen erst dann, wenn die betroffenen Personen

„… in ihrem Alltag beeinträchtigt sind, wenn Menschen einen sehr hohen Zeitaufwand etwa fürs Kontrollieren verwenden“,

erklärt Dr. Herald Hopf, Arzt für Psychiatrie und Psychotherapie. (youtube.com/watch?v=hmCPkpT-GJg)

Ergänzend fügt Dr. Eva Kischkel, Psychologische Psychotherapeutin, hinzu:

„Problematisch wird es, wenn ich unter meinen Zwängen anfange zu leiden.“ (youtube.com/watch?v=AnGQV5KCzh8)

F42.1 – Möglichkeiten der Therapie / Behandlung

Heutzutage sind bei Zwangshandlungen unter professioneller Betreuung „beachtliche Symptomverbesserungen bis hin zu Vollremissionen zu erzielen.“ (karger.com/Article/PDF/62829) Je nach Schwere der Störung kommen psychotherapeutische Konzepte und/oder das Verschreiben von Medikamenten zur Anwendung.

Als bewährteste Methode gegen Zwangshandlungen gilt die kognitive Verhaltenstherapie, bei der sich der Patient gezielt Situationen aussetzt, die bei ihm ein bestimmtes Agieren auslösen, über das er sonst keine Kontrolle hat. Unter Anleitung des Therapeuten bekommt er daraufhin alternative Möglichkeiten aufgezeigt, die ihm helfen, sein eingefahrenes Verhaltensmuster zu ändern.

Bei einer medikamentösen Behandlung werden vor allen Dingen Mittel aus der Gruppe der Antidepressiva (etwa SSRI) verabreicht. Da sich eine mögliche Wirkung der Medikamente allerdings erst nach sechs bis acht Wochen zeigt, raten die meisten Ärzte zu einer zusätzlichen Verhaltenstherapie.

Praktische Tipps im Umgang mit der Diagnose F42.1

  • Von Zwangshandlungen nach F 42.1 Betroffene sollten mit sich geduldig sein. So wie sich die Zwangshandlungen über einen langen Zeitraum entwickelt haben, lassen sie sich auch nicht innerhalb einer kurzen Frist wieder ablegen.
  • Der kommunikative Austausch mit ähnlich Erkrankten kann eine wichtige Unterstützung im Kampf gegen die Störung sein. Zum einen lasten Sorgen nicht mehr so schwer auf der Seele, wenn man mit anderen, die das Problem kennen, darüber reden kann. Zum anderen profitiert man möglicherweise von den Erfahrungen anderer. – Selbsthilfegruppen vor Ort oder Foren im Netz wie psychologieforum.de/zwangsgedanken-and-zwangshandlungen-38231.html bieten gute Gelegenheiten für Gespräche.
  • Die Onlineseite aerztezeitung.de/Medizin/Mit-diesen-fuenf-Fragen-erkennen-Sie-Zwangsstoerungen-305128.html stellt einen Selbsttest vor, bei dem sich anhand von fünf diagnostischen Screeningfragen tendenziell herausfinden lässt, ob man zum Kreis der Betroffenen zählt. Allerdings ersetzt so ein Test keine medizinische Diagnose.
  • Nichts zu unternehmen und darauf zu hoffen, dass die Zwangshandlungen von selbst verschwinden, verschlimmert indes das Problem, und die antrainierten Verhaltensmuster verankern sich immer mehr in der Psyche. Je früher man sich Hilfe sucht, desto effektiver kann gegengesteuert werden.
  • Zwangshandlungen haben nichts mit individueller Schuld oder persönlichem Versagen zu tun. Sie sind eine psychische Erkrankung, die jeden treffen kann und für die man sich nicht schämen muss.

Schlussbemerkung

Der 28-jährige Jan, von dem eingangs die Rede war, hat sich in Therapie begeben. Doch der Weg, gegen die Zwangshandlungen anzukämpfen, ist mühsam. So hat er mehrere Klinikaufenthalte hinter sich, wonach sich sein zwanghaftes Verhalten zwar stets verbesserte, aber auch immer wieder mit Rückfällen einherging.

Doch der junge Mann gibt nicht auf. So ist es ihm bereits möglich, die Toilette in der Praxis seines Therapeuten, die er als verschmutzten Raum empfindet, in dem seine Schuhe kontaminiert werden könnten, zu betreten. Jan meistert immer mehr Übungen mit Bravour, und seine Chancen stehen gut, irgendwann wieder ein weitestgehend unbeschwertes Leben führen zu können, anstatt Gefangener seiner inneren Ängste und Zwänge zu sein.

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