Dissoziative Störungen / dissoziative Persönlichkeitsstörung / dissoziative Identitätsstörung (© von Lieres / stock.adobe.com)

Dissoziative Störungen: Dissoziative Identitätsstörung / Persönlichkeitsstörung

Unter dem Begriff der Dissoziativen Störung werden eine Reihe verschiedener psychischer Krankheitsbilder zusammengefasst. Als Dissoziation wird ein psychisches Phänomen bezeichnet, bei dem für gewöhnlich zusammengehörende Funktionen auseinander fallen. Es handelt sich dabei um Abspaltungen, die meist bestimmte Bereiche des Bewusstseins und der Wahrnehmung betreffen wie etwa das Gedächtnis oder auch die Identität. Dabei kann es im Extremfall zu einer Art Auslöschung der Identität oder der Persönlichkeit kommen. In dem Fall wird auch von dissoziative Identitätsstörung oder einer dissoziative Persönlichkeitsstörung gesprochen.

Außerdem kann die Motorik sowie das Körpergefühl betroffen sein. Die Erkrankung umfasst auch teilweise die Phänomene der Depersonalisation und der Derealisation.

Die Identitätsstörung wird auch als multiple Persönlichkeitsstörung bezeichnet. Diese wird häufig umgangssprachlich mit Schizophrenie verwechselt.

Definition, Verbreitung, dissoziative Phänomene und Pathologie

Dissoziation ist zunächst ein psychisches Phänomen, bei dem bestimmte Gedächtnis- oder Wahrnehmungsinhalte voneinander getrennt werden. Das ist vor allem bei traumatischen Erfahrungen der Fall und gewisserweise ist es eine Art automatische Schutzmaßnahme von dem Gehirn. Damit kann in extremen oder traumatisierenden Situationen noch eine meist notwendige Handlungsfähigkeit aufrechterhalten werden (siehe PTBS Krankheit). Die meisten Erkrankungen dieser Art beruhen auf traumatischen Erfahrungen, die solch einen dissoziativen Effekt verursacht haben. Diese können dann durch verschiedene individuellen Auslöser ausgelöst werden.

Die Verbreitung ist entsprechend beeinflusst von den Lebensumständen. So können sie in Regionen mit häufigen Naturkatastrophen vermehrt auftreten. Hierzulande sind etwa 2-4 Prozent der Allgemeinbevölkerung von schweren Symptomen betroffen. Bei den ambulanten psychiatrischen Patienten sind es 15 Prozent und bei den stationären in einer Klinik bis zu 30 Prozent. Leichte Formen hingegen gehören zu dem normalen Spektrum der menschlichen Psyche, sodass die meisten Menschen Erfahrungen mit leichten und harmlosen Formen davon in ihrem Leben machen.

Wie bei vielen anderen psychischen Erkrankungen auch kann dieses Phänomen über das normale Spektrum hinausgehen und zu Leid und Beeinträchtigungen führen, sodass von einer Krankheit gesprochen werden muss. Meist hat es bestimmte Auslöser, die mit dem traumatischen Erlebnis zu tun haben, die mitunter auch ein Leben lang bestehen können.

Dissoziative Störung | Dissoziation (© von Lieres / stock.adobe.com)
Dissoziative Störung | Dissoziation (© von Lieres / stock.adobe.com)

Formen und Symptome

Nach ICD 10 gibt es eine ganze Reihe von teils recht unterschiedlichen Formen an Dissoziativen Störungen (siehe u.a. F44.0, F44.2 und im weiteren Kontext auch ICD 10 F43.1 und F43.2). Entsprechend verschieden kann die Symptomatik ausfallen. Allen gemeinsam ist, dass eine körperliche Krankheit als Ursache ausgeschlossen werden kann.

  • Die Dissoziative Amnesie bezeichnet den Gedächtnisverlust in Hinsicht auf belastende oder traumatische Ereignisse in der Vergangenheit. Dieser kann jedoch qualitativ und quantitativ stark variieren und auch über die traumatischen Erinnerungen hinausgehen. Im Extremfall kann es auch zu einem kompletten Gedächtnisverlust kommen. In der Regel betrifft er jedoch nur einzelne Szenen, Ereignisse oder Ereigniszusammenhänge.
  • Als Dissoziative Fugue wird ein weiterführendes Phänomen bezeichnet, bei dem der Betroffene plötzlich aus seinem normalen Leben verschwindet. Die dabei auftretende Amnesie kann bist zu einem kompletten Identitätsverlust reichen, bei dem sämtliche Erinnerungen an die Vergangenheit fehlen. In seltenen Fällen kann es während der Reise auch zur Bildung einer neuen Identität kommen. Die Reise selbst ist jedoch in ihrer Funktion normal organisiert und generell bleibt die normale Fähigkeit zur Selbstversorgung weitgehend erhalten. Dieses Fortgehen ist meistens eine Fluchtreaktion auf relativ unmittelbare belastende Situationen oder Ereignisse.
  • Eine andere direkte Reaktion auf belastende Situationen ist der Dissoziative Stupor. Die Betroffenen erstarren und bewegen sich kaum bis nicht mehr. Dazu sprechen sie auch nicht mehr und reagieren nicht auf Licht, Berührungen oder Geräusche. Es kann in diesem Zustand kein Kontakt mit ihnen aufgenommen werden, obwohl sie nicht bewusstlos sind. Die Augen bewegen sich nach wie vor und auch die Muskelaktivität bleibt intakt.
  • Es gibt dissoziative Trance- und Besessenheitszustände, bei denen es vorübergehend zu Bewusstseinsveränderungen kommt. Bei der Trance geschieht dies in Form einer Einengung des Bewusstseins auf bestimmte Reize der Umgebung oder auf die unmittelbare direkte Umgebung als solche. Dazu können gesprochene Worte oder Bewegungen zählen. Außerdem geht dieser Zustand mit einem Identitätsverlust einher. Das bedeutet, die Betroffenen verlieren das Gefühl ihrer persönlichen Identität. – Im Falle der Besessenheitszustände wird vorübergehend eine andere Identität angenommen, die als ein mystisch-religiöses Wesen wie ein Gott oder ein Geist verstanden wird. Die Form hängt stark von der jeweiligen Kultur ab.
  • Dissoziative Bewegungsstörungen können die Einschränkung oder den Verlust der Bewegungsfähigkeit inklusive der Sprachfähigkeit sowie sonstige Störungen der Koordination beinhalten. Dazu kann auch die Unfähigkeit zu stehen zählen. Den vielen Bewegungsmöglichkeiten des menschlichen Körpers entsprechend kann das ein sehr weites Feld sein.
  • Die Dissoziativen Krampfanfälle bezeichnen unerwartet und plötzlich auftretende Krämpfe und krampfartige Bewegungen ähnlich einem epileptischen Anfall. Allerdings kommt es bei ihnen zu keiner Bewusstlosigkeit, sondern eher zu trance- oder stuporähnlichen Zuständen. Auch die Verletzungen durch Stürze oder Zungenbisse kommen selten vor, ebenso wie Inkontinenz.
  • Bei den Dissoziativen Sensibilitäts- und Empfindungsstörungen kann es zu einem partiellen oder auch kompletten Verlust der Hautempfindung oder des Seh-, Hör-, oder Geruchssinnes kommen. Der Verlust der Wahrnehmung kann sich auf bestimmte Regionen oder Aspekte beschränken oder aber auch komplett bestehen.
  • Zu den Sonstigen dissoziative Störungen zählt das Ganser-Syndrom. Dieses zeichnet sich dadurch aus, dass Betroffene auch die einfachsten Fragen falsch beantworten bzw. an der Frage vorbei anworten, obgleich sie ganz offenkundig verstanden wurde. Dennoch antworten die Betroffenen unbewusst oder auch bewusst falsch. Damit erwecken sie den Eindruck, debil oder verrückt zu sein, was zu Isolation in jeglicher Hinsicht führen kann. Das Phänomen lässt sich jedoch nicht erschöpfend mit einer Täuschungsabsicht der Betroffenen erklären, da sich bei ihnen tatsächlich Bewusstseinstrübungen finden lassen. Eine genaue Beurteilung und Einteilung ist jedoch nach wie vor nicht vollständig geklärt.
  • Ein großes Feld hingegen ist die Dissoziative Identitätsstörung. Sie wird auch als multiple Persönlichkeitsstörung bezeichnet und meint das Ausbilden mehrerer Identitäten. Irrtümlicherweise wurde und wird sie umgangssprachlich häufig mit der Schizophrenie verwechselt. Die dissoziative Identitätsstörung gilt als die schwerwiegendste Form. Die Betroffenen haben unterschiedliche Vorstellungen von sich selbst und handeln nach diesen. Das bedeutet, sie haben verschiedene Persönlichkeiten, die zu verschiedenen Zeiten hervortreten und agieren. Damit einher geht meist eine komplette oder weitgehende Amnesie bezüglich der jeweils anderen Persönlichkeit. Dieses Krankheitsbild wurde auch häufig in Literatur oder Filmen thematisiert.

Weitere Formen können Phänomene aus dem Bereich der Depersonalisation sowie der Derealisation sein (siehe den Artikel zur Depersonalisationsstörung). Beides sind psychische Wahrnehmungsstörungen, die bei einer Vielzahl von psychischen Erkrankungen auftreten können. Sie treten häufig auch in der einen oder anderen Form zusammen auf und ergänzen einander.

  • Bei der Depersonalisation haben die Betroffenen das Gefühl, außerhalb ihres Körpers zu stehen und diesen zu beobachten. Sie meint im Kern einen Zustand der wahrgenommenen Selbstentfremdung.
  • Die Derealisation bezeichnet ein ähnliches Empfinden auf die Umwelt bezogen. Diese wird fremd, unwirklich oder auch unvertraut wahrgenommen. Diese beiden Phänomene sind nach ICD-10 eigenständige Erkrankungen, treten meistens jedoch im Zusammenhang mit anderen psychischen Krankheiten auf.

Ursachen von psychischer Dissoziation

Zu den Ursachen zählt meistens ein traumatisches Erlebnis als Auslöser. Das können sowohl belastende Erlebnisse in der Vergangenheit sein, die durch verschiedene Situationen getriggert werden, als auch akut belastende Erlebnisse. Zu den meisten Arten von traumatischen Erfahrungen gehören Unfälle, Gewalterfahrungen, Missbrauch und auch Naturkatastrophen.

Menschen können allerdings sehr unterschiedlich auf belastende Ereignisse reagieren. Deswegen hängt es auch von verschiedenen Faktoren ab, ob ein Individuum angesichts belastender Erfahrungen zu dissoziativen Reaktionen neigt. Dabei können genetische Faktoren, charakterliche Faktoren und die allgemeine psychische Resilienz eines Individuum eine große Rolle spielen.

Es gibt für die unterschiedlichen Formen der Erkrankung Tendenzen bezüglich der Ursachen. Bei der dissoziativen Amnesie sowie der Fugue geschieht eine Bewusstseinsspaltung, die belastende oder traumatische Erinnerungen aus Selbstschutz ausblendet. Dabei sind also tendenziell traumatische Erlebnisse in der Vergangenheit ursächlich, die das Gehirn aus vermeintlichem Selbstschutz ausblendet.

Für die Fälle dissoziative Persönlichkeitsstörung bzw. dissoziative Identitätsstörung, die zur Ausbildung von mehreren Persönlichkeiten führen, gelten schwere Missbrauchserfahrungen während der Kindheit als häufige Ursache.

Für die Störungen der Sinnesempfindung und der Bewegung wird auch der Begriff der Konversionsstörungen verwendet. Als Konversion wird das Phänomen bezeichnet, bei dem psychische Beschwerden sich in körperlichen Beschwerden äußern. Bei den Konversionsstörungen ist es oft schwierig, sie von körperlichen Erkrankungen zu unterscheiden. Vergleiche auch Psychosomatik (siehe psychosomatische Störung und psychosomatische Therapie) und Somatisierungsstörung.

Dissoziative Störungen – Therapie und Behandlung

Zur Behandlung gehört in der Regel das Aufarbeiten der traumatischen Erlebnisse. Das geschieht im kontrollierten Rahmen einer Psychotherapie. Dabei hängt es natürlich stark von den individuellen Bedingungen und Ursachen ab. Generell geschieht dieses Aufarbeiten in einer Psychotherapie jedoch in drei Schritten (siehe auch Psychotherapieverfahren), bei denen das eigentliche Aufarbeiten erst den dritten Schritt darstellt. In der Anfangsphase geht es erst einmal um Stabilisierung und dann schließlich um Symptomreduktion. Dadurch wird im Grunde das Arbeiten an den traumatischen Erlebnissen erst möglich. Wie dies speziell geschieht, ist wiederum stark von der Art und Weise der Erkrankung und vor allem auch von deren Schwere beeinflusst. In manchen Fällen müssen die traumatischen Erlebnisse erst einmal hervorgeholt werden, etwa durch Hypnose (vgl. Hypnose bei Angstzuständen).

Ob die Behandlung ambulant oder stationär in einer Psychiatrie stattfindet (siehe auch Psychiatrie Einweisung), hängt wesentlich vom Schweregrad ab.

Eine Therapie beginnt meist mit einer ausführlichen Aufklärung über die Krankheit. Zuvor muss der Patient dem Therapeuten so genau und ausführlich wie möglich von seinen Beschwerden, Gefühlen und Problemen erzählen, damit dieser sie richtig einschätzen kann. Das kann in mehreren Gesprächen oder auch mit speziellen Methoden, wie etwa einem Fragebogen, geschehen. Damit einher geht ein wachsendes Bewusstsein des Patienten und zwar nicht nur für die Krankheit, sondern auch für seine Gefühle, die damit verbunden sind. Daran anknüpfend können bereits die ersten inneren Spannungen abgebaut werden. Gemeinsam mit dem Therapeuten können dann individuelle Strategien erarbeitet werden, um künftige dissoziative Zustände zu vermeiden und allgemein die Symptome zu reduzieren. Dazu können auch Methoden zur Stressbewältigung und Erhöhung der allgemeinen psychischen Resilienz gehören. Das wiederum schließt immer auch einen gewissen Grad an Selbsthilfe ein.

Im Zweifelsfalle verfügt der Therapeut über unterschiedliche Methoden, den Patienten aus einem akuten dissoziativen Zustand zurückzuholen. Dazu zählen neben Gedanken- und Atemübungen auch spezielle Sinnesreize wie spezielle Musik oder Gerüche. Das kann auch bei der eigentlichen Aufarbeitung der traumatischen Erfahrungen notwendig sein.

Begleitend zu dieser Aufarbeitung des Traumas ist meistens auch eine Verhaltenstherapie zur Behandlung notwendig oder zumindest nützlich. Das hängt von Art und Weise und auch vom Verlauf der Erkrankung ab. Dazu zählt auch, ob Medikamente zum Einsatz kommen, um die Symptome generell oder beim Aufarbeiten zu lindern. Bei wirklich schweren Fällen ist ein Aufenthalt in einer Klinik sinnvoll, oft kann eine Behandlung aber auch ambulant erfolgen.

Generell gibt es durchaus gute Heilungschancen. Auch die Identitätsstörung bzw. die multiple Persönlichkeitsstörung (vgl. Persönlichkeitsstörungen Übersicht), als schwerste Form der Erkrankung, kann erfolgreich behandelt werden.

Video: Dissoziative Identitätsstörung

In diesem kurzen Video erzählt eine Betroffene von ihrer Erkrankung:

Dissoziative Störung: Quellen und weiterführende Ressourcen:

  • netdoktor.de/krankheiten/dissoziative-stoerung/
  • de.wikipedia.org/wiki/Dissoziation_(Psychologie)
  • psychosoziale-gesundheit.net/psychiatrie/ganser.html
  • therapie.de/psyche/info/index/diagnose/dissoziative-stoerungen/artikel/
  • lecturio.de/magazin/dissoziative-stoerungen/

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